Vergaberechtliche Rügefrist bleibt Unsicherheitsfaktor für die Bieter – März 2011

 

Auch nach der Entscheidung des EuGH vom 28. Januar 2010 (Rechtssache C-406/08) zur Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit der Frist, in welcher die vergaberechtliche Rüge einzulegen ist, bliebt die Rechtslage in Deutschland für die Bieter im Vergabeverfahren mit großen Unsicherheiten behaftet. Zwei neuere Entscheidungen deutscher Oberlandesgerichte machen dies deutlich.

Der Europäische Gerichtshof hatte zu den britischen Umsetzungsvorschriften des europäischen Auftragsvergaberechtes entschieden, dass eine nationale Regelung, die die Frist für einen Rechtsbehelf in der Weise festlegt, dass dieser „unverzüglich“ (promptly) eingelegt werden müsse, um die Rechtsschutzmöglichkeiten für den betroffenen Bieter zu wahren, keine korrekte Umsetzung der europäischen Vergaberichtlinien darstellt. Eine Ausschlussfrist, so der EuGH in seiner Begründung, deren Länge in das freie Ermessen des zuständigen Richters gestellt ist,  sei in ihrer Dauer für den Bieter nicht vorhersehbar. Mit anderen Worten, der Bieter darf bei einer europarechtskonformen Umsetzung der Vergaberichtlinien keiner Unsicherheit darüber unterliegen, nach welcher Frist sein Rechtsschutzantrag verspätet sein würde. Eine Fristbestimmung, die als Zeitraumangabe lediglich die Formulierung „unverzüglich“ beinhaltet, genügt dieser Vorgabe nicht.

 

Nun sollte man annehmen, dass diese Entscheidung des EuGH auch auf die deutsche Regelung zur vergaberechtlichen Rüge nach § 107 GWB anzuwenden wäre.
§ 107 III GWB legt im Wesentlichen fest, dass ein Vergaberechtsverstoß dann nicht Grundlage eines Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer sein kann, wenn der Bieter den Verstoß nicht unverzüglich nach seiner Kenntnis hiervon gegenüber dem Auftraggeber rügt. Ohne Rüge ist ein Antrag vor der Vergabekammer unzulässig.
Auch hier wird also die Frist für einen Rechtsbehelf bzw. für eine Handlung, welche ihm zwingend vorausgehen muss, nicht in Tagen oder Wochen bestimmt, sondern durch einen unbestimmten Rechtsbegriff, der „Unverzüglichkeit“. Zwar ist dieser Begriff im deutschen Recht über § 121 BGB legaldefiniert als „ohne schuldhaftes Zögern“, aber es wird leicht klar, dass hier nur ein unbestimmter Rechtsbegriff durch einen anderen ersetzt worden ist.

 

Nach den Entscheidungen des OLG Dresden (Beschluss vom 07.05.2010 – WVerg 06/10) und dem Beschluss des OLG Rostock ( Beschluss vom 20.10.2010 – 17 Verg 5/10) soll jedoch das Urteil des EuGH für die deutsche Rechtslage keine Rolle spielen. Zu unterschiedlich seien nach Ansicht der OLG die Rechtsbegriffe der „Unverzüglichkeit“ im deutschen und britischen Vergaberecht. Auch seien die dortige Frist zur Erhebung eines vergaberechtlichen Rechtsbehelfs und die deutsche Rügefrist rechtstechnisch etwas völlig anderes. Aufgrund der über 100-jährigen Rechtsprechung zu diesem Rechtsbegriff bedeute „unverzüglich“, dass innerhalb einer nach den Umständen zu bemessenden Prüfungsfrist zu handeln sei. Im Allgemeinen gelte hierzu eine Obergrenze von zwei Wochen. Im Vergaberecht allerdings sei nach den Umständen in den meisten Fällen eine Rüge nach mehr als einer Woche nicht mehr als unverzüglich anzusehen. Bei einfach gelagerten Fällen liege eine schuldhafte Verzögerung bereits bei drei Tagen vor.

Die Unterschiede der Rechtsordnungen im europäischen Raum mögen vorliegen. Die behauptete Rechtssicherheit bei der Bestimmung der Rechtzeitigkeit der Rüge ist jedoch in der deutschen Rechtsprechung leider keineswegs zu finden.

Die vielgestaltige Rechtssprechung zur Unverzüglichkeit der Rüge nach § 107 III GWB zeigt nur allzu deutlich, dass die vergaberechtliche Judikatur in Deutschland keineswegs zu befriedigenden oder gar praktikablen Ergebnissen bei der Bestimmung der Rügefrist gekommen ist. In welcher Frist eine Rüge zu erheben ist, unterscheidet sich je nach Einzelfall und lokal zuständigem Oberlandesgericht erheblich. Die Vorgaben der Rechtssprechung reichen von gerade noch ausreichenden 14 Tagen bei komplexen Fällen bis zu 3 Tagen, wobei wiederum unterschiedlich entschieden wird, ob es sich dabei um Kalender- oder Werktage handeln soll, bin hin zu wenigen Stunden im Einzelfall. Letztlich bleibt die Berechnung der Frist für die Bieter und deren Rechtsberater eine erhebliche Unwägbarkeit. Führt man sich vor Augen, dass mit der Einhaltung der Rügefrist die Rechtsschutzmöglichkeiten vor der Vergabekammer stehen und fallen, ein unbefriedigender Zustand.

 

Fazit:

Die begrüßenswerte, klarstellende Rechtsprechung des EuGH kann sich bislang in Deutschland nicht durchsetzen. Solange der EuGH nicht explizit zur deutschen Rechtslage entscheidet, wird sich hieran wohl nichts ändern.
Somit tut ein Bieter gut daran, vermutete Vergaberechtsverstöße umgehend nach deren Wahrnehmung zu rügen oder – ebenso schnell – entsprechenden Rechtsrat einzuholen. Weiterhin gilt bei vergaberechtlichen Rügen: Je schneller desto besser.